Glottertal - Klaus, Christa und Udo Brinkmann haben Fernsehgeschichte geschrieben. Die "Schwarzwaldklinik" kam vor 25 Jahren erstmals auf den Bildschirm. Bis heute ist sie die populärste und erfolgreichste deutsche TV-Unterhaltungsserie. Wiederbelebt wird sie trotzdem nicht. "Fernseh-Schwarzwaldklinik. Zufahrt mit Pkw verboten" steht auf dem Schild gegenüber dem Glotterbad, einer 1997 eingeweihten Fachklinik im Schwarzwald-Ort Glottertal. Die schmale Straße führt einige Hundert Meter hinauf zum Carlsbau. Als das Blätterwerk sich langsam lichtet, sieht man das imposante fünfgeschossige Gebäude mit den markanten braunen Dachgauben. Das Schild mit dem altdeutschen Schriftzug "Schwarzwaldklinik" hängt noch vom letzten Dreh für die Specials 2004 und 2005 über dem Eingangsportal. Doch statt Heiler-Welt-Kulisse regiert Tristesse. Zwischen dem aufgeplatzten Asphalt wuchert Unkraut, die Rabatten rund ums Gebäude sind verwildert. Werner Geigges war bis zur Schließung 2004 Leiter der Klinik; seitdem ist er Chefarzt des Glotterbads. Der 57-jährige Facharzt für internistische und psychosomatische Medizin ist ein hagerer Mann mit wehendem grauem Haar. Ein einfühlsamer Mediziner, dem die Patienten blind vertrauen - wie Professor Brinkmann. "Wenn ich krank wäre, würde ich mir einen Professor Brinkmann wünschen", sagt er und lächelt.
Wunderbares Gebäude
Der 1913/14 errichtete Carlsbau war ein Luxussanatorium, das seinerzeit als das Nonplusultra galt. "Ein wunderbares Gebäude", schwärmt Geigges, der zur Führung durch das Geisterhaus Prospekte aus der Gründerzeit mitgebracht hat. Zuletzt wurde das Gebäude als Reha-Einrichtung für Familien genutzt.1987 kam Geigges als junger Oberarzt nach Glottertal - drei Jahre nach Beginn der Dreharbeiten für die "Schwarzwaldklinik". Da waren Klaus und Christa längst ein Paar, knutschte der fesche Udo mit den Mädels rum. "Sie können sich diesen Rummel nicht vorstellen", erzählt Geigges. Hunderte, Tausende Besucher drängelten sich vor dem Eingangsportal und wollten Professor Brinkmann sehen. "Wenn jemand im weißen Kittel vor die Tür ging, wurde er fotografiert, und die Leute wollten ein Autogramm." Angehörige seien mit ihrer kranken Oma gekommen, damit sie von Professor Brinkmann operiert wird. "Sterbende wollten ihn vor ihrem Tod noch einmal sehen." Dabei gab es im Carlsbau weder einen Operationssaal noch eine Intensivstation. Patienten verkauften unter der Hand Eintrittskarten an Schaulustige, obwohl der Zutritt verboten war. Wenn Wussow Geburtstag hatte, türmten sich in der Klinik die Geschenke.
Hundertausende Besucher kamen
In Spitzenzeiten kamen täglich Dutzende Busse und hunderte Pkw. Allein im ersten Sendejahr 1985/86 pilgerten mehr als 200000 Besucher in die 3000-Einwohner-Gemeinde Glottertal. Was die meisten Besucher damals nicht wussten - und viele bis heute nicht wissen: Die Klinikfassade mit dem Eingang diente nur als Kulisse für die Außendreharbeiten. Auch die Notaufnahme für den Krankenwagen ist in Wirklichkeit ein abschüssiger Weg, der zum Keller führt. Die restlichen Szenen wurden in einem Hamburger Studio sowie an 31 Orten im ganzen Schwarzwald gedreht. Was war das Erfolgsgeheimnis der Serie, die heute so bieder und verstaubt daherkommt? "Die Verknüpfung von Arztroman, Soap-Opera und Heimatfilm", erklärt Geigges. "Prof. Brinkmann war ein idealisierter Retter und ein ganz normaler Mensch. Das kommt der Sehnsucht vieler entgegen." Wussow sei in der Rolle völlig aufgegangen. "Er konnte irgendwann nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden." Im Inneren verströmt der Carlsbau noch den Charme der Gründerzeit. Das große Kaminzimmer ist schönster Jugendstil. Stuck an Decken und Wänden, Schnitzereien, ein traumhafter Kachelofen. Kein Wunder, dass Kanzler Ludwig Erhard und andere Promis wie der saudische König Ibn Saud zum Kuren ins Glottertal kamen. 2005 wurde hier der letzte Film abgedreht. Seitdem steht das riesige Gebäude leer. Der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV), die das Haus 1960 von der Reeder-Familie Wiards kaufte, ist es ein Klotz am Bein. Seit 2008 sucht man vergebens nach einem Käufer. "Wir sind im Gespräch mit potenziellen Käufern", so Sprecher Gerd Markowetz. Man könne sich eine Nutzung als Seniorenheim, Reha-Klinik oder Gesundheitszentrum vorstellen. Was der Bau mit seinen unzähligen Räumen und Uraltbädern kostet, wie viel man in die Renovierung stecken müsste, will er nicht verraten. Im Ort munkelt man von zweistelligen Millionenbeträgen. Draußen vor dem Eingang steht andächtig eine vierköpfige Familie aus dem Sauerland. "Ich habe alle Sendungen gesehen", erklärt Simone Bankamp. "Mir gefiel der Herzschmerz und die Liebelei." Ihr Mann Ingo (39) war schon 1987 mit seinem Fußballclub in Glottertal. "Wir waren die Lautesten. Jungs, die mit 17 ,Schwarzwaldklinik' angucken, das ist unglaublich." Zwischen 1985 und 1989 flimmerten 73 Folgen der Kultserie über den Bildschirm. 2004 und 2005 gab es zwei neue Episoden, danach war Schluss. Einen Neustart der Serie lehnt Produzent Wolfgang Rademann kategorisch ab. "Eine Wiederbelebung würde dem Original schaden", sagt der 75-Jährige. Zudem seien die meisten Schauspieler von damals gestorben. Die Fans haben die Hoffnung auf ein Remake dennoch nicht begraben. Europaweit haben sie mehr als 23000 Unterschriften für eine Fortsetzung gesammelt. Rademann will davon nichts wissen. Er konzentriert sich auf die Endlosserie "Traumschiff", die er seit 1981 fürs ZDF produziert. "Ich liege lieber unter Palmen als unter Tannen." Eugen Jehle weiß, was Glottertal dem Klinikkult zu verdanken hat. Seit 1990 ist er Bürgermeister der Mini-Gemeinde, die ohne die Serie ein unbekannter Schwarzwaldort geblieben wäre. "Für uns war es kostenlose Werbung. Ich war jüngst in Paris, auch da kennt man die ,Schwarzwaldklinik'." Der große Boom sei zwar vorbei, aber noch immer würden Urlauber vorbeischauen. Vor drei Jahren hat die Gemeinde beim ZDF zwecks neuer Folgen nachgefragt. Jehle: "Die Antwort: ganz klar Nein. Ich bedauere das sehr." Simone Rein ist Erste Verantwortliche des Fanclubs Schwarzwald-Kult-Klinik. Die 34-jährige Bürokauffrau aus Herscheid gründete ihn 2007 mit Gleichgesinnten. Seit 2001 fährt sie ins Glottertal. "Es wäre schön, wenn man die Serie wieder zum Leben erwecken würde", meint sie. "Aber ich denke, die große Zeit der ,Schwarzwaldklinik' ist vorbei." Seit Klausjürgen Wussow, Eva Maria Bauer und Evelyn Haman gestorben seien, sei das Interesse deutlich zurückgegangen. Über die Zukunft des Carlsbaus hat sich der Fanclub auch schon Gedanken gemacht: "Am besten wär es, wenn er zu einem ,Schwarzwaldklinik'-Museum mit Café und Übernachtung ausgebaut würde."
Gesammelte Kostbarkeiten im Museum
Dabei gibt es ein solches "Museum" schon längst. Es liegt nur wenige Hundert Meter entfernt direkt an der Straße zum Carlsbau. Über die schmale "Hansjürgen-Wussow-Brücke" geht es vorbei an einem rötlichen Gedenkstein mit den Unterschriften der TV-Stars zum Café Schill, das der frühere Friseur Rolf-Fritz Schill betreibt. Sein Café war seit dem ersten Boom 1985 bis Mitte der 1990er Jahre ein Epizentrum des Klinikkults. Jeder, der zum Carlsbau wollte, kam daran vorbei. "Damals ging es von null auf 100. Wahnsinn", sagt der 63-Jährige. Schill ist eine Art Gralshüter der "Schwarzwaldklinik". Niemand hat so viele Zeitungsartikel, Krimskrams, Andenken und Fotos gesammelt wie er. An den Wänden hängen seine gesammelten Kostbarkeiten: Fotos der Serienhelden mit dem Café-Besitzer, Autogrammkarten. "Damals ging es ab wie die Post. Das Geschäft war eine Goldgrube." Erst kamen die Westdeutschen, nach der Wende die Ostdeutschen, dann Franzosen, Italiener, Japaner, Schweizer. "Seit Mitte der 1990er geht's bergab. Es ist vorbei", sagt Schill bitter. Heute herrscht gähnende Leere an den Tischen. Kuckucksuhren, Souveniers und Carlsbau-Modelle zum Selberbauen sind größtenteils verschwunden. Vor zwei Jahren hat er den Souvenierladen geschlossen. Die wertvollsten Stücke - wie das Wussow-Video "Mein Leben als Chefarzt" oder das ZDF-"Schwarzwaldklinik"-Spiel - liegen unberührt in den Glasvitrinen. Kürzlich hat Schill ein lebensgroßes Foto der Hauptdarsteller an eine Wand seines "Schwarzwaldklinik"-Stübles anbringen lassen. Mit Wussow habe er sich auf Anhieb verstanden. "Der war so gutmütig und konnte nie Nein sagen. Eine Seele von Mensch." Als der Schauspieler 2007 im Alter von 78 Jahren starb, starb auch Schills Hoffnung auf eine Neuauflage der geliebten Serie. "Ich kann nicht länger etwas am Leben erhalten, was schon längst tot ist." Wenn ihn mal wieder der Frust überkommt, muss Schill an Wussow denken und an das, was er - alias Professor Brinkmann - am Ende der letzten Folge sagte: "Die ,Schwarzwaldklinik' wird weiterleben. Als ein Ort, wo Menschen für Menschen da sind. Behalten Sie uns in guter Erinnerung."